Treff hat am Sonntag geöffnet!

Die Wirte wehren sich gegen den Vorwurf, mit ihrem Ruhetag würden sie für eine tote Altstadt sorgen. Der Sonntag rechne sich in Bern nicht, halten die meisten fest. Ein Malaysier und ein Italiener halten dagegen.

Restaurants säumen die Gassen der unteren Berner Altstadt. Wollen Bernerinnen und Berner oder Touristen sonntags in einem davon einkehren, stehen sie in den meisten Fällen vor verschlossenen Türen. Wie ein Rundgang zeigt, sind am Sonntag nur 7 Speiserestaurants geöffnet, was 20 Prozent entspricht. Zählt man die 23 Bars zwischen Zytglogge und Nydeggbrücke dazu,
so ist insgesamt immer noch weniger als ein Drittel aller Lokale (31 Prozent) geöffnet.

Dies sei der im Unesco-Weltkulturerbe vertretenen Altstadt nicht würdig, fand kürzlich ein Leserbriefschreiber aus dem Kanton Zürich in dieser Zeitung. Sonntags beginne hinter dem Zytglogge die Ödnis, empörte er sich. Auch andere Leserinnen und Leser stiessen in dasselbe Horn. Dass die berühmte Berner Altstadt wie ein ausgestorbenes Aussenquartier daherkomme, könne man insbesondere den Touristen nicht zumuten, so der Tenor. Schöpfen die Wirte in der unteren Altstadt ihr Potenzial zu wenig aus? Ein Besuch bei verschiedenen Wirten soll Antworten liefern.

Die Huhn-oder-Ei-Frage

Die erste Station führt ins Restaurant Falken in der oberen Münstergasse. Hier wirtet seit drei Jahren Reto Regattieri. Wie die Mehrheit seiner Zunft hat auch er am Sonntag geschlossen. Er findet, bei der ganzen Diskussion werde zu einseitig auf das fehlende Angebot fokussiert. Denn die Nachfrage sei das eigentliche Problem. «Sonntags sind die Gassen sehr oft wie leer gefegt», sagt er bei einem Glas Mineral. Das erinnert ein wenig an die ewige Diskussion mit dem Huhn und dem Ei. Sind die Strassen nun leer, weil die Restaurants geschlossen sind? Oder sind die Lokale zu, weil die Gassen verwaist sind? Auch wenn die angefragten Wirte es nicht explizit so sagen, so verdichtet sich folgendes Bild: Die Stadtberner essen sonntags lieber zu Hause als auswärts.

Ein Berner Phänomen also? Jein, eher ein städtisches, meint Regattieri. Denn während seiner Zeit als Betreiber des Vennerstöckli in Gümligen lief der Sonntag immer gut – jedenfalls abends. Es ist ein Punkt, den auch Tobias Burkhalter, Präsident des Wirteverbandes Gastro Stadt Bern, anspricht. Je weiter man sich aufs Land bewege, desto häufiger würden die Bewohnerinnen und Bewohner sonntags auswärts tafeln gehen. «Auf dem Land ist deshalb der Montag als Ruhetag weit geläufiger», sagt er am Telefon.

Die lukrativen Geschäftsessen

Diese Argumente sprechen auch René Schneider aus dem Herzen. Er ist seit 2003 Wirt im Restaurant Zunft zur Webern in der Gerechtigkeitsgasse – der zweiten Station. «Der Sonntag ist nicht mehr das, was er früher einmal war», sagt er. «Der Sonntag ist nicht mehr das, was er früher einmal war.» René Schneider Wirt im Restaurant Zunft zu Webern Die Konsumgewohnheiten hätten sich geändert. «Das sonntägliche Familienessen mit dem Grosi findet zumindest in Bern immer weniger statt.» Deshalb hat auch er am siebten Tag der Woche geschlossen.

Unter der Woche sei das Geschäft viel einträglicher, weiss Schneider aus langjähriger Erfahrung. Da rennen ihm mittags und nach Feierabend scharenweise Geschäftsleute und Staatsangestellte zum Speisen die Bude ein. Eine Tatsache, die auch Tobias Burkhalter aufgreift. «Bern ist halt etwas eine Beamtenstadt», meint der Präsident von Gastro Stadt Bern, der auch drei Betriebe (Della Casa, Schmiedstube, Fähribeizli) führt. «Wäbere» Chef René Schneider will nicht behaupten, dass ein Sonntag per se nicht rentiere. Er selbst hatte es vor Jahren versucht. «Doch mir ist ein freier Tag pro Woche einfach wichtig», hält er fest. Und da entscheide er sich halt für den am wenigsten rentablen Sonntag. Mit Aussicht auf einen freien Wochenendtag liessen sich auch einfacher Mitarbeitende finden, so Schneider.

Er führt auch die Kosten ins Feld. Würde er sein Restaurant mit 150 Plätzen auch sonntags öffnen, so müsste er sieben Angestellte beschäftigen, was jedes Mal Fixkosten von rund 2000 Franken ausmachen würde. «Sieben Tage die Woche geöffnet zu haben, können sich die meisten Wirte nicht leisten», sagt auch Tobias Burkhalter vom Wirteverband.

Der hohe Mitarbeiteraufwand

An der Gerechtigkeitsgasse wirtet seit vier Monaten Angela Pfyffer im Goldenen Schlüssel. Sie bietet sonntags nur einen Brunch an, ansonsten ist die altehrwürdige Gaststätte geschlossen. Bei einem Espresso macht auch sie den «hohen Mitarbeiteraufwand» geltend, der sich nicht rechnen würde. Die vorgängigen Pächter, Jost und Marianne Troxler, hätten die Sonntagsöffnung kurzzeitig getestet, rentiert habe sich diese aber nicht. Der Goldene Schlüssel ist nicht nur ein Restaurant, sondern auch ein Hotel. Das ändert an der Nachfrage freilich nicht viel. «Der Sonntag ist für Touristen ein Abreisetag», sagt Pfyffer, «es würden folglich sowieso nicht viele Hotelgäste bei uns zum Abendessen erscheinen.»

Die Standort-Frage

Doch es gibt sie, die Ausnahmen, so wie etwa Jaswant Singh. Der gebürtige Malaysier mag nicht in das Klagelied seiner Berufskolleginnen und -kollegen einstimmen.«Es braucht ein gutes Konzept, dann funktionierts», meint der Gastronom keck. Seit zweieinhalb Jahren führt er zuunterst an der Gerechtigkeitsgasse das Restaurant Treff mit 100 Innenplätzen und ebenso vielen auf der grosszügigen Aussenterrasse.

 

«Es braucht ein gutes Konzept, dann funktionierts.» Jaswant Singh Betreiber Restaurant Treff

Während des Gesprächs bei einem Schweppes spricht er immer wieder vorbeilaufende Touristen an und macht sie auf sein Lokal aufmerksam. Ist das sein bestechendes Konzept? Es ist ein Teil davon, zumindest wenn es um die Einheimischen und Ausländischen Touristen geht. Denn die sind neben den lokalen Gästen, genau seine Zielgruppe. Er bietet asiatische und italienische Spezialitäten an, die Speisekarten sind in sechs Sprachen erhältlich. Offenbar funktionierts. «Samstags und sonntags läuft bei mir der Laden am besten», sagt Singh.

Jaswant Singh muss eingestehen, dass er dabei von einer idealen Lage profitiert. Denn flanieren die Touristen vom beliebten Bärenpark Richtung Zytglogge, so ist sein Treff eine der ersten Beizen, an denen diese vorbeikommen. «Stünde mein Restaurant an der Postgasse, sähe die Situation auch anders aus», sagt er. Der Standort scheint in der Tat eine wichtige Rolle zu spielen. Denn alle sechs Restaurants und Bars gleich ennet der Nydeggbrücke haben sonntags geöffnet.

Die italienische Philosophie

So auch Samuele Puddu, Wirt im Verdi, das gleich gegenüber dem Treff liegt. Besitzer des italienischen Edelrestaurants ist der Zürcher Gastrokönig Rudi Bindella. «Auch wir profitieren sicher von der guten Lage», meint Puddu – relativiert aber, dass es sonntags deutlich weniger Leute habe, die bei ihm einkehren, als unter der Woche. Ausserdem sei dann der Anteil an Touristen höher.

Zum Schluss wirft er noch ein Argument in die Waagschale, das auf ein kulturelles Selbstverständnis schliessen lässt. Im Verdi verfolge man eine italienische Philosophie, so Puddu. Diese laute schlicht und einfach: «Ein Ristorante muss immer offen sein!» (Berner Zeitung)